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Wie dein Yoga, so dein Leben.

Wer bereits länger die Yogamatte ausrollt, hat sicherlich schon diese Übereinstimmung entdeckt: Unsere persönliche Yogapraxis ist ein Spiegel für unser Leben. Aus unserer Art zu praktizieren können wir also vieles über uns selbst, unser Leben, unseren Alltag und unsere Beziehungen lernen.

 

Manchmal schaut man allerdings in einen Zerrspiegel, ohne es zu merken. Das ging mir so, am Anfang meiner Yogapraxis. Ein, zwei Tage nach dem Yoga hatte ich immer starken Muskelkater, Verspannungen und Kopfschmerzen und ich war müde. Daraus schloss ich, dass mein Körper unfitt sei und ich mir mehr Mühe geben müsse. Auch in der Yogapraxis selbst hatte ich das Gefühl, nicht viel zu können und hielt mich für faul.

Es dauerte einige Monate bis ich verstand, dass von allem das Gegenteil zutraf: Ich überlastete mich regelmäßig im Yoga, wollte zu schnell zu viel und vor allem wollte ich. Wollen erzeugt immer eine Blockade, im Yoga merkt man das physisch: Je mehr man in eine Position hieinwill, desto weniger wird man hineinkommen.

Irgendwann, als ich eine Straße entlanglief, also jenseits meiner Matte, hatte ich die Erkenntnis, dass das auch für mein Leben zutraf. Immer hatte ich das Gefühl, nicht genug zu leisten, nicht besonders clever zu sein und mühte mich daher immer viel mehr ab, als es nötig gewesen wäre und der dadurch entstandene Perfektionismus erschöpfte mich und machte mich gleichzeitig unzufrieden. Es ist ja nie gut genug.

 

In diesem einen Moment hatte ich etwas aus dem Yoga verstanden und in meinen Alltag mitgenommen: Meine Wahrnehmung von mir selbst (oder anderen) ist nicht unbedingt wahr. Und ich sollte so leben, dass mir nicht die Puste ausgeht oder ich durch Anstrengung verkrampfe. Ein guter Hinweis meiner damaligen Ashtanga-Lehrerin war: „Nehmt die Asanas so ein, als würden sie nicht nur 5, sondern 30 Atemzüge dauern.“

 

Danach hat sich nicht nur mein Yoga, sondern auch mein Leben nachhaltig verändert.

 

 

SVADHYAYA

Im Yogasutra wird svadhyaya (sva = Selbst; dhyaya = etwas betrachten, über etwas nachdenken) als eine Tätigkeit angesehen, die zum Yogaweg gehört. Im Grunde geht es bei svadhyaya darum, die Natur des Wahren Selbst zu erkennen, doch bevor wir das können, verstehen wir uns zunächst über unsere Verhaltens- und Denkweisen, über unsere Art zu fühlen. Und darüber auch, was oder wer wir nicht sind oder nicht sein wollen.

 

 

FRAGEN UM ZU ERKENNEN.

Hier sind nun einige Fragen, die du dir stellen kannst, um deine Beobachtungen und Erkenntnisse aus dem Yoga von deiner Matte in den Alltag zu bringen. Die kannst du nach Belieben ergänzen...

  • Wie übst du? Gehst du beständig über deine Komfortzone hinaus oder bringt man dich nicht einmal in die Nähe deiner Grenzen? Schau nach, ob du das auch im Alltag tust. Wenn ja: Sowohl im Yoga wie auch in deinem Leben kannst du versuchen, vom Extrem zurückzugehen und die Mitte zu finden: Mal sanft zurückgenommen, mal kraftvoll fordernd oder immer ausbalanciert.

  • Musst du immer in die Endpositionen hinein? Jeder Tag ist anders, und auch wir selbst sind es – das gilt insbesondere für das zyklische Wesen der Frau. So sind an manchen Tagen, wenn wir unkonzentriert, erschöpft oder auch übermütig sind, die Endversionen der Asanas vielleicht nicht das, was wir gerade brauchen. Tust du es trotzdem, gehst du über deine Bedürfnisse hinweg – und das vermutlich auch in deinem Alltag.

  • Wie reagierst du, wenn du eine Asana oder auch eine Meditation oder Atemübung übst, die die nicht gut gelingt? Ein typisches Beispiel und ein guter Lehrer sind die Balancehaltungen. Hörst du direkt auf? Suchst du direkt die leichte Variante? Verkrampfst du schon vor dem Reingehen? Schimpfst du, innerlich oder hörbar, wenn die Übung nicht gelingt? Schau, wie du in solchen Fällen deines Alltags mit der Situation und dir selbst umgehst. Vielleicht steckt ein übertriebener Perfektionismus dahinter, vielleicht Ungeduld oder auch die Idee, dass man etwas leisten muss, um geliebt zu werden.

  • Vergleichst du dich mit anderen, die mit dir praktizieren? Oder kannst du den Blick bei dir lassen? Und wenn du jemanden entdeckst, der etwas richtig gut kann, bist du fähig, dich daran zu erfreuen oder bist du neidisch? Das Mitfreuen ist eine buddhistische Übung und Tugend – um keine negativen Energien aufkommen zu lassen. Wie ist das in deinem Alltag? Kannst du gönnen, dich mitfreuen? Oder sind alle Konkurrenten?

  • Bist du abhängig von der Aufmerksamkeit und vom Lob deines Lehrers oder deiner Lehrerin? Kommst du vielleicht nur zur Yogastunde, weil du von ihr wahrgenommen werden willst? Und beim Praktizieren machst du alles genau richtig und best möglich, weil du auf ein Lob hoffst? Oder vielleicht lobst du deinen Lehrer jedes Mal für seine Stunde, weil du seine Aufmerksamkeit suchst und möchtest, dass er dich mag. Wenn ja, findest du diese Verhalten wahrscheinlich auch in deinem Alltagsleben. Das heißt, du bist mehr im Außen, suchst dort nach Rückmeldungen, um dein Sein bestätigt zu finden. Das führt ganz oft dazu, dass Erwartungshaltungen enttäuscht werden. Schau, ob du, sowohl im Yoga wie auch im Alltag den Blick in die andere Richtung schicken kannst: nach innen.

  • Wie reagierst du auf Korrekturen, Änderungsvorschläge und Kritik? Musst du alles ausdiskutieren und dich erklären? Fühlst du dich angegriffen, nicht gut genug oder kannst du es einfach annehmen und ausprobieren? Wenn du das im Yoga meisterst, kannst du es sicher auch in deinem Alltag.
  • Übst du dogmatisch oder erlaubst du dir, aus den Regeln auszubrechen? Das erste ist ein Yoga von außen: Struktur und Regeln helfen uns vor allem am Anfang unserer Praxis, sie und unseren Körper darin überhaupt erst zu verstehen. Mit der Zeit sollte aber ein Yoga aus dem Inneren entstehen, bei dem du dir erlaubst, die Haltungen oder die Abfolge oder die Bewegungen innerhalb der Haltungen selbst anzupassen. Wie ist das in deinem Alltag? Könntest du ein bisschen mehr (R)Evolution in deinem Leben gebrauchen?

  • Wie wichtig ist dir die richtige Matte, die richtige Kleidung und Yogaprops? Gegen richtig ist eigentlich nichts einzuwenden, doch wenn es immer das Beste vom Besten sein muss und du mehr Zeit damit verbringst, dich um diese materiellen Sachen zu kümmern anstatt zu praktizieren, hat sich das Gleichgewicht verschoben. Dann ist Yoga zum Style geworden. Wie ist das in deinem Leben? Wieviel brauchst du wirklich, um glücklich zu sein?