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Das zyklische Wesen.

Ich habe mich eigentlich immer dagegen gewehrt, einen Unterschied zwischen Mann und Frau zu sehen. Mein Gerechtigkeitssinn ist stark ausgeprägt und ich fand: Beides sind doch einfach Menschen. Vor einigen Jahren las ich einen Artikel in einer Yogazeitschrift, in dem die Yogini diesen Satz sagte: „Du bist nicht einfach ein Mensch, du bist eine Frau.“ Das hat mich sehr nachdenklich gemacht und meine Welt auf den Kopf gestellt. Denn in diesem Satz steckte für mich eine Erkenntnis. Durch das Gleichmachenwollen der Geschlechter habe ich sie auch unterdrückt, bin ihren Eigenschaften und Bedürfnissen nicht gerecht geworden – vor allem denen der Frau, meinen eigenen Bedürfnissen!

Welche Bedürfnisse genau eigentlich? Ich hätte es gar nicht sagen können, wusste aber: Da fehlte was oder eher etwas musste zurecht gerückt werden.

 

Ein Buch auf meiner Suche hat mich besonders beeindruckt: „Der Weg der Kaiserin“. Darin wird erzählt, wie die Konkubine Whu Zhao es vor mehr als 1000 Jahren schaffte, zur Kaiserin aufzusteigen. Hinzu kommen Erklärungen und Empfehlungen für Frauen jeder Lebensphase aus der Sichtweise der Traditionellen Chinesischen Medizin.

 

Darin heißt es:

„Im Verlauf des Zyklus wandeln Yin und Yang sich unaufhörlich. Abwechselnd wachsen sie und gehen auf dem Höhepunkt ihrer Entfaltung in ihr Gegenteil über. Die Chinesen sprechen von Ebbe und Flut. Eine Frau, die dieses subtile Wechselspiel versteht und erlebt, kann im Fluss ihrer eigenen Energie leben und dabei – wie im Gezeitenkraftwerk – auf große Kräfte zurückgreifen, anstatt mühevoll immer wieder gegen sich selbst zu arbeiten.“

 

In diesen wenigen Worten steht alles Wesentliche, was den Unterschied zum anderen Geschlecht ausmacht. Frauen sind durch den Monatszyklus stark geprägt, durch veränderte Horomonausschüttungen während dieses gesamten Kreislaufs, die sich auf ihr Be- und Empfinden auswirken, auf ihre Wahrnehmung und Bedürfnisse. Diese Veränderungen (von manchen Menschen auch als zickig, unentschieden oder wechselhaft bezeichnet) spielen eine Rolle im Alltag, im Privaten und im Beruf – und in allem, was frau sonst so macht, wie zum Beispiel Yoga.

 

Dies sind die zyklisch-energetischen Veränderungen der Frau in vier Phasen aus der chinesischen Sichtweise (als Beispiel an einem 28 Tage-Zyklus):

  • Menstruation: Tag 1-7 | Energie: Yang/Yin: Bewegung ist nötig, dadurch wird der Blutfluss unterstützt. So hat frau weniger Krämpfe, da das Krampfen zum Herausbefördern des Blutes da ist; das Blut wird ohne Bewegung nicht vollständig abgetragen. Auf der seelischen Ebene ist sie offen, sensibel und ungeschützt (gegenüber äußeren negativen Einflüssen, sowie Wind, Kälte, Feuchtigkeit), ihre Intuition ist stark.
  • Sammlung/Aufbauphase: Tag 7-14 | Energie: Yin/Yin: In dieser Zeit ist eine sanfte, ruhige Praxis empfehlenswert. Diese restorative Phase ist wichtig, denn der Blutverlust (= Energieverlust) durch die Periode schwächt. Außerdem unterstützt die sanfte Praxis – sowie aufbauendes Essen, die Mitte stärkende Nahrung – den Aufbau des neuen Eisprungs. Die Menstruation ist zwar vorüber, doch die doppelte Yin-Phase steht neben Aufbau und Regeneration für Rückzug und Besinnung.
  • Eisprung: Tag 15-21 | Energie: Yin/Yang: Ab dem 12. Tag, wenn es in Richtung Yang geht, ist es ratsam, mit etwas dynamischerem Yoga zu beginnen, um auf den Eisprung vorzubereiten: der „Sprung“ braucht Energie. Kraft baut sich auf, frau ist wieder mehr nach außen gewandt.
  • Kraftvolle Phase: Tag 22-28 | Energie: Yang/Yang: Dies ist die aktivste Phase, also Gas geben, frau kann sich so viel und so kraftvoll bewegen, wie sie will. Intensive Bewegung in dieser Phase wirkt sich zudem positiv auf PMS-Beschwerden aus. Handlungs- und „Party-Zeit“.

Das nebenstehende Bild ist eine bildliche Veranschaulichung der Yin/Yang-Phasen.

 

Diese Beschreibungen gehen vom Yin&Yang-Zeichen aus, wobei Yin (die schwarzen Felder) die weibliche, zurückgezogene, nährende Energie beschreibt und das Yang (die weißen Felder) die männliche, aktive, handelnde Energie. Innerhalb eines Zyklus sind diese Energien in unterschiedlichem Maße vorhanden. Und genau hiernach sollte frau sich richten. Wenn beispielsweise während der Aufbauphase (starkes Yin) zu viel Aktivität (Yang) gelebt wird, kommen Disbalancen auf, die sich letztendlich auf den gesamten Zyklus auswirken: Vielleicht gibt es nicht genügend Energie für den Eisprung oder während der Folikelreifung gibt es ein Problem, sodass die Eizelle nicht fähig ist zu empfangen. Wer sich zum Zyklusende hin hingegen zu wenig bewegt, kann an PMS vor und unter Krämpfen während der Menstruation leiden.

 

Auf die Balance kommt es also an.

Wir können uns nicht einfach vollständig, je nach Phase, aus dem Beruf, der Familie oder anderen Verpflichtungen ziehen. Doch wir können nach Ausgleich suchen. Nicht noch eine Verabredung treffen, wenn wir in der Phase des Rückzugs sind, vielleicht auch mal was an den Partner oder die Kinder delegieren. Wir können uns bewegen, in die Natur gehen, anstatt eine weitere Folge zu netflixen, wenn die aktive Phase da ist. Wir können unser Yoga anpassen oder vielleicht ganz andere Bewegungsformen und Meditation in die entsprechenden Zyklusphasen einbauen.

 

Das Resultat ist – anstelle des Gefühls, irgendwie immer nicht so recht zu genügen und sich im eigenen Körper unwohl zu fühlen – ein höheres Bewusstsein für sich selbst, ein gesünderer, störungsfreier Zyklus in Balance und Harmonie mit sich selbst und so, im ständigen Fluss von abnehmender und zunehmender Energie, ganz in die eigene Kraft zu kommen.

 

P.S.: Zur Natur von Zyklen kannst Du hier weiterlesen.

 

 

Quellen:

„Der Weg der Kaiserin“ von Christine Li und Ulja Krautwald

„Which yoga styles to practice during your female cycle“ – Tutorial von José de Groot (bei EkhartYoga)