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So würde ich das nicht (mehr) sagen.

Worte sind wichtig, wenn es darum geht, die richtige, gesunde Ausrichtung im Yoga zu finden.

 

Das sind einerseits die Worte der Yogalehrerin, andererseits aber auch die eigenen inneren Worte, die wir uns oft unbewusst selbst sagen, während wir die einzelnen Asanas üben. Nicht selten sind das die Worte, die wir in den Yogastunden von unseren Lehrern gehört und als Anweisung verinnerlicht haben. Ich selbst hatte noch Jahre, nachdem meine erste Yogalehrerin aufgehört hatte zu unterrichten, ihre Stimme und einzelne Anleitungen im Kopf.

 

So ist es also von großer Bedeutung, dass Yogalehrer°innen achtsam ansagen, dass sie wissen, wovon sie sprechen – mit der physischen und mit der feinstofflichen Anatomie vertraut sind – am besten aus ihrer eigenen Erfahrung gelernt haben, anstatt nur nachzuplappern, was sie in der Ausbildung mitbekommen oder anderswo mal gehört haben. Als Ausbilderin war ich daher immer empfindlich, wenn ich von den Yogaazubis gebeten wurde: „Kannst du das bitte nochmal sagen, wie du das anleitest? Ich will mir das aufschreiben.“

 

Aber auch der Schüler darf sich nicht blind hingeben und darauf vertrauen, dass der Lehrer schon alles richtig machen und sagen wird. Lehrer sind nicht allwissend. Achtsames Zuhören und Wahrnehmen in den Haltungen ist genauso wichtig wie die achtsame Anleitung. Wir Yogaleher°innen können nicht alles sehen und fühlen, was im individuellen Körper vor sich geht und ob dieser vielleicht eine Anpassung in den Haltungen und Bewegungen benötigt. Die Eigenverantwortung des Schülers im Yoga ist ein wichtiger Bestandteil des Lernens und der Lehrer-Schüler-Beziehung. Auch mal Rückmeldungen zu geben, wenn sich etwas nicht stimmig anfühlt. Und auch mal tiefer in die Materie eintauchen durch Anatomie-Workshops. 

 

Über die Jahre des Praktizierens, Unterrichtens und Ausbildens habe ich vieles ausprobiert und auch vieles wieder verworfen und verfeinert. Lehrersein ist ein Prozess, mit jeder Schülerin, mit jedem Unterricht lernt man weiter, das sollte niemals aufhören und sowohl Lehrer wie auch Schüler sollten nicht zu eitel oder festgefahren sein, diese Veränderungen als Erkenntnisse wertzuschätzen und umzusetzen.

 

 

 

Hier kommen meine Best of „So würde ich das nicht (mehr) sagen.“:

 

 

 

Ziehe die Kniescheiben hoch.“

 

Diese Anweisung soll den Oberschenkelmuskel aktivieren, um vor Überdehnung der Beine zu schützen. Mal abgesehen davon, dass ich oft nur Fragezeichen in den Gesichtern meiner Schüler°innen sah, macht diese Anweisung für mich keinen Sinn mehr, seit ich erfahren habe, was ihre negativen Auswirkungen sind und was man stattdessen tun kann.

 

Warum nicht?

Bei vielen – vor allem bei den leicht überdehnbaren Gelenken der Frauen – drückt sich so das Knie erst recht nach hinten in Richtung Kniekehle durch und erzeugt eine Überdehnung des Beines. Außerdem entsteht zu viel Spannung im Oberschenkel, der oft schon (zu) viel Spannung hat. Diese Spannung kann das vollständige Setzen der Bandhas, vor allem Uddiyana Bandha, blockieren und weitere unnötige Spannungen zum Beispiel im Gesäß, im unteren Rücken, in den Schultern und im Kiefer hervorrufen.

 

Stattdessen

… leite ich an, die Zehen zu strecken, zu spreizen, also die Füße zu aktivieren. Das kann anfangs eine Herausforderung sein, besonders, wenn man den ganzen Tag Schuhe und dann auch noch einengende Schuhe mit Absatz trägt. Aber unsere Füße sind anpassungsfähig, mit der Zeit lernen die Zehen sich zu spreizen. Durch den aktivierten Fuß entsteht eine gesunde Grundspannung bis hin zur Kopfhaut. Wie das sein kann, versteht man, wenn man Faszien und deren Verbindungen versteht. Mit dem gespreizten Fuß wird das Bein sanft ganzheitlich aktiviert, sodass Halt entsteht und Überdehnungen entgegengewirkt wird, ohne dass Blockaden oder Spannungen an anderen Stellen entstehen.

 

 

 

Schultern weg von den Ohren.“ / „Die Schultern nach hinten unten ziehen.“

 

Diese Anweisung, so gut wie in allen Asanas angewendet, habe ich im Unterricht und in der Ausbildung gelernt – und recht schnell verworfen, als ich gesehen habe, was sie bei den Schülern anrichtet. Sie soll dafür sorgen, dass der Körper sich streckt und aus der typischen, schlaffen Rundrückenhaltung herauskommt. Außerdem soll sie helfen, Verspannungen im Schulterbereich zu vermeiden – das Hochziehen der Schultern.

 

Warum nicht?

Diese Ansage bewirkt im Stand, dass sich der Brustkorb nach vorne drückt, ein Hohlkreuz entsteht, das wiederum den Bauch nach vorne drückt und die Spannung im Unterbauch nicht gesetzt werden kann. Der Kopf verliert damit auch seine richtige Position und Spannungen in den Schultern entstehen. Ganz besonders in Positionen, in denen die Hände über dem Kopf zusammenkommen (Krieger 1, Utkatasana, Baum…) verspannen sich Schultergürtel und Nacken, wenn man hier versucht, die Schultern von den Ohren wegzuziehen. Es ist ganz natürlich, dass die Schultern in einer solchen Haltung leicht nach oben gehen – das ist aber keine Verspannung, sondern Anatomie. Wenn man jemandem mit nach oben gestrecktem Arm zuwinkt, zieht man auch die Schulter leicht hoch, ohne dass man danach verspannt wäre - und  im Yoga sollen wir dann die Schultern bewusst runterziehen?! Die Folge ist eine unnötige Anspannung im Trapezmuskel.

 

Stattdessen…

...können in Asanas mit nach oben gestreckten Armen sich die kleinen Finger aufeinander zu bewegen, sodass eine sanfte Außenrotation der Arme bis in die Schultern entsteht.

In Haltungen wie dem Stand, in den Hunden, Trikonasana, sitzende Vorbeuge und in allen ähnlichen, kann man anleiten, dass die Schlüsselbeine oder auch die Schulterblätter sanft nach außen (von einander weg) ziehen. Dadurch entsteht eine Weite im Brustbein, ein Alignment für Schulter, Nacken und Kopf, ohne dass die Wirbelsäule unnatürlich nach vorne gedrückt wird. Vorder- und Rückseite des Körpers sind harmonisch ausgerichtet. Außerdem wird durch das Ziehen nach außen der Trapezmuskel intelligent aktiviert, sodass Spannungen in diesem Bereich verschwinden und Halt für Nacken und Kopf entsteht.

 

 

 

Hebe deine Arme / Beine.“

 

Was das im Vergleich zur Alternative ausmacht, hat mich sehr fasziniert. Denn hier kann man sehen und erleben, was Worte allein schon bewirken.

 

Warum nicht?

Wenn man als Lehrer°in anleitet oder als Schüler°in auch nur denkt: „Hebe deine Arme. / Ich hebe meine Arme.“ werden gezielt bestimmte Muskeln dafür aktiviert, denn die Energie folgt der Aufmerksamkeit. Bei dieser Ansage also meldet das Gehirn an Trapezmuskel (Nacken und Schulter), Schultergelenk, Oberarm, Ellbogen, Unterarm, Handgelenk und Hand mit Fingern, dass sie sich aktivieren sollen. Beim Bein sind das alle Bereiche ab der Hüfte bis zu den Zehen – inklusive des Psoas. Das sind viele Stellen, die blockieren können, die dann mehr machen, als sie müssten. So entstehen Verspannungen und die Arme (bzw. Beine) kommen gar nicht so hoch, wie man eigentlich könnte.

 

Stattdessen…

….leitet man die Energie einfach um zum vom Körperzentrum am weitesten entfernten Teil. Also: „Hände heben.“ statt der Arme, „Zehen heben.“ statt des Beines. Auf einmal hat man das Gefühl, die Körperteile schweben nach oben – einfach deswegen, weil man die Energie auf Bereiche umlenkt, die sich nicht unnötig anspannen können und auch keine Spannung weiterkommunizieren. Dass die Muskeln und Gelenke ab der Schulter bzw. ab der Hüfte mitarbeiten müssen, steht außer Frage. Aber eben nur so viel, dass sie uns nicht in der Bewegung einschränken. Als Praktizierende°r muss man sich das ganz klar innerlich sagen: „Ich hebe jetzt meine Hand.“ oder auch nur den kleinen Finger. Der restliche Arm folgt automatisch mit mehr Leichtigkeit, mit mehr Beweglichkeit.

 

 

 

Setze Mula Bandha, setze Uddiyana Bandha.“

 

Auch so eine Ansage, die für mich selbst und für meine Schüler°innen viel Erleichterung gebracht hat, als ich sie geändert habe. Hier geht es um das punktuelle Setzen (also Anspannen und Hochziehen) bestimmter einzelner Muskeln.

 

Warum nicht?

Viele Menschen, gerade am Anfang ihrer Yogapraxis, sind total überfordert, wenn man verschieden Muskeln aufzählt, die sie nun anspannen sollen und von denen sie bisher keine Ahnung hatten. Aber auch die Fortgeschritteneren habe damit oft Probleme. Sie sind sich unsicher, ob sie es richtig machen, setzen zu viel Spannung oder zu wenig, wissen nicht, bis wohin genau, andere Bereiche spannen unnötig mit an: Gesäßmuskeln, Zwerchfell, Mund, Kiefer und Zunge, manchmal das gesamte Gesicht. Und sie sind ständig weg, die Bandhas, weil man eine punktuelle Spannung auf Dauer einfach nicht halten kann.

Bei Atemtechniken, bei oder nach denen man die Bandhas nur kurz nutzt, ist das eine andere Sache, hier funktioniert das kraftvolle, punktuelle Setzen der Bandhas und macht auch Sinn. In Asanas jedoch gibt es eine viel feinere Möglichkeit.

 

Stattdessen…

… leite ich an, die Bandhas über die Füße, die Hände und die Streckung des Körpers zu setzen – also ganzheitlich statt punktuell. Wenn man in Standhaltungen die Zehen spreizt und das Fußgewölbe hochzieht (indem man großen und kleinen Zeh am Boden lässt, die drei mittleren anhebt), aktiviert man ganz ähnlich wie oben bei den Kniescheiben auch die Beine, den Beckenboden, stabilisiert den gesamten Körper und richtet ihn aus. Wer in einem gekreuzten Sitz oder Fersensitz sitzt, würde stattdessen die Zehen in den Boden drücken. Diesen Effekt nennt man Pada Bandha.

 

Zusätzlich nutzt man Hasta Bandha, die aktiven Hände. Wenn man in Haltungen ist, in denen man die Hände sanft gegen den Fußspann, die Beine (Achtung: nicht gegen die Knie!) oder in den Boden drücken kann, entsteht dabei eine Spannung im Unterbauch, die dem erweiterten Mula bzw. dem tief gesetzten Uddiyana Bandha gleich kommt. Alternativ kann man auch Daumen und Zeigefinger sanft gegeneinander drücken oder die die Hände spreizen. Hasta Bandha nutze ich selbst immer nur im Puls, damit der Atem frei fließen kann: Nur beim Ausatmen aktiviere ich es, beim Einatmen lasse ich lockerer, anderenfalls ist es nicht möglich, tief einzuatmen.

 

Und dann kommt vor allem in den Standhaltungen noch die Streckung hinzu: Vom Steißbein bis zum Scheitel zieht man sich lang und automatisch sind die unteren beiden Bandhas da. Zusätzlich kommt der gesamte Körper in ein geschmeidiges Alignment, ohne Fehlspannungen, ohne die Bandhas immer wieder zu verlieren und die Energien fließen viel feiner und freier.

Das kann jeder Yogaübende, ob Anfängerin oder Fortgeschrittener.

 

 

 

Und dies sind nur meine Lieblingsänderungen. Darüber hinaus gibt es noch vieles, das ich mal gemacht und gesagt und mittlerweile verworfen und weiterentwickelt habe. Mit jedem Schüler, mit jeder eigenen Erfahrung mit jedem Bisschen Wissen über die Anatomie des Körpers, das ich mir angeeignet habe, hat sich meine Idee von Alignment und dem Einrichten des Körpers in Asanas verändert. Dabei ging es immer mehr darum, dass es nicht um eine bestimmte Form geht, die wir erreichen müssen, sondern einen Zustand, in dem die Energien stimmig sind und fließen können.

Denn dann bekommen wir ein wunderbares Geschenk: Ganzheit. Embodiment. Das Gefühl, in sich selbst zu Hause zu sein.

 

 

 

 

„Unser Ziel im Leben ist nicht, perfekt zu werden:

Unser Ziel ist es, ganz zu werden.“

 

 

~ Bernie Clark

 

 

 

 

Wenn du Unterstützung dabei suchst, deine Yogapraxis oder deinen Unterricht persönlicher und anatomisch rücksichtsvoller zu machen, wenn du deine Art, dich zu bewegen finden und dich von unpassenden Regeln befreien möchtest, helfe ich dir gerne!

Im Einzelunterricht (auch für Yogalehrer°innen) via zoom können wir deine Fragen klären, angewandte Yogaanatomie erforschen, deine ‚schwierigen Stellen‘ anschauen, deine Positionen verändern und anpassen.