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Glück ist messbar: Warum der Vagusnerv so wichtig ist.

Jede°r sollte meiner Meinung nach den Vagusnerv kennen – jede Hausfrau und Mutter, jeder Manager, jeder alleinerziehender Vater, alle Yogalehrer, Therapeuten, Ärzte, Sozialarbeiter... In jeder Yogastunde sollten Übungen für den Vagusnerv integriert sein, genauso wie in der täglichen Praxis.

 

Warum? Warum so eindringlich?

Die Erklärung folgt.

 

Der Nervus Vagus ist der zehnte, der längste und mittlerweile wohl bekannteste von insgesamt zwölf Hirnnerven und der wichtigste des parasympathischen Nervensystems (zuständig für unseren Ruhe- und Regenerationsmodus). Ist der Vagusnerv nicht intakt, können wir weder körperlich noch auf anderen Ebenen zur Ruhe kommen oder uns erholen. Sein Name bedeutet 'umherschweifender Nerv' – und genau das tut er: umherschweifen. Der Vagusnerv ist weitläufig und verästelt sich innerhalb des Körpers in mehrere Richtungen: Er beginnt also im Gehirn, verästelt sich in den Ohren, wandert weiter durch den Hals, schweift hier zum Kehlkopf ab und zieht weiter in den Brustbereich. Er durchläuft Herz, Lunge, Magen, Darm und so gut wie alle Bauchorgane, außerdem Hoden und Eierstöcke.

 

1994 revolutionierte der Verhaltensforscher und Neurowissenschaftler Stephen Porges das Wissen über diesen besonderen Nerv durch die sogenannte „Polyvagaltheorie“. Darin legt Porges dar, dass wir zwischen einem ventralen (an der Vorderseite des Körpers) und einem dorsalen (über die Rückseite des Körpers verlaufenden) Vagusnerv unterscheiden müssen. Beide haben entgegengesetzte Aufgaben. Wenn der vordere Vagusteil aktiv ist, dann sind wir offen, sozial und fröhlich. Unser Ruhe- und Erholungssystem ist ausgeglichen. Wenn aber der hintere Vagus aktiv ist, streigt der Stresspegel, dann ist Rückzug (Flucht) angesagt, in anderen Fällen wird aber auch der Verteidigungsmodus (Kampf) eingeschaltet. Eine dritte Möglichkeit ist die Starre: Wenn uns etwas zu viel wird und wir weder kämpfen noch fliehen können, kommt es zu diesem „freeze“. Soziale Abkehr, Depression, aber auch Gereiztheit und Gewalttätigkeit sind typische Anzeichen für diesen Teil des Vagusnervs. Der dorsale Anteil hat während Corona-Pandemie sicherlich auch den ein oder anderen intelligenten Menschen Klopapier horten oder sich gar darum prügeln lassen... Das sind uralte Verhaltensmuster, die dadurch aktiviert werden, sie laufen nicht über unser Bewusstsein.

 

Dennoch können wir steuern, ob der vordere oder hintere Vagusnerv aktiv ist. Wir müssen nur die Anzeichen erkennen und verstehen.

 

 

TYPISCHE ANZEICHEN FÜR EINEN SCHWACHEN (VORDEREN) VAGUSNERV

  • Verspannungen, besonders im Schulter-/Nackenbereich, Rückenschmerzen
  • Kieferverspannungen, Zähneknirschen
  • Übelkeit und Magenübersäuerung
  • Verstopfung oder Durchfall
  • unregelmäßiger oder zu schneller Herzschlag, Herzinfarkt
  • Heiserkeit und Schluckbeschwerden
  • Kopfschmerzen, Migräne
  • grundloses Schwitzen
  • kalte Hände und Füße
  • Arthritis
  • Nervosität und Reizbarkeit
  • Herzinfarkt und Schlaganfall
  • Schwindelgefühl und Benommenheit
  • Depressionen und andere psychische Störungen wie Angststörungen, Panikattacken, Phobien, bipolare Störungen, Autismus, posttraumatische Belastungsstörungen, ADHS
  • antisoziales Verhalten, Gewalttätigkeit
  • Energiemangel
  • Infektanfälligkeit, schwaches Immunsystem durch hohe Entzündungswerte

...und noch vieles mehr, nachzulesen in Stanley Rosenbergs Buch „Der Selbstheilungsnerv“

 

Der Nervus Vagus beeinflusst also, wie es uns körperlich und seelisch geht, ob wir gesund und energiegeladen sind oder nicht, ob wir depressiv, zurückgezogen und misstrauisch sind oder aber mit einem offenen und glücklichen Herzen durch das Leben gehen. Der Vagusnerv ist ein sozialer Nerv und beeinflusst daher auch unser soziales Leben, wie und ob wir mit Menschen in Kontakt kommen, wie wir kommunizieren.

 

Die gute Nachricht ist: Vom Vagusnerv gehen zwar viele Probleme aus, wenn es ihm nicht gut geht, doch wir können durch ihn auch viele Probleme, die unser Leben schwierig machen und blockieren, lösen. Daher auch Rosenbergs Buchtitel „Der Selbstheilungsnerv“, denn das ist er!

Die zweite gute Nachricht ist: Den Vagusnerv kann man ganz leicht erreichen und durch Körperübungen, Meditationen, Atemtechniken und Nährstoffe beeinflussen.

 

Was den Vagusnerv aus dem Gleichgewicht bringt, ist – natürlich – wie bei allen die körperliche und seelische Gesundheit betreffenden Prozessen: Stress. Zu lange andauernder Stress ohne Unterbrechung, wenn die Erholungsphasen fehlen, schwächt den zehnten Hirnnerv und bringt die dorsale Aktivität in den Vordergrund. Dann kommen wir in den Flucht-, Kampf- oder Totstellmodus, den Dr. Joe Dispenza als „Überlebensmodus“ bezeichnet, in dem wir nicht mehr aktiv auf unser Leben einwirken und es nach unseren Wünschen erschaffen können. Wir sind nur noch damit beschäftigt, alles irgendwie hinzubekommen und dabei nicht unterzugehen – zu überleben. Hand aufs Herz: Wem geht es nicht öfter mal so? Oder manchen vielleicht auch andauernd, kennen es gar nicht mehr anders.

 

 

WANN GEHT ES DEM VAGUSNERV – UND UNS – GUT?

Der Vagusnerv benötigt einen hohen Tonus (nicht zu hoch! Dann kippt es in die Überreizung) – also nicht der entspannte Vagus ist das Ziel, wie wir das von den meisten physischen Entspannungsfaktoren kennen. Wenn der Tonus (der ist messbar) stimmt, dann macht uns Stress nichts aus. Er führt uns von der Aktivität und Aufregung ganz automatisch zurück in die Ruhe und Regeneration. Dann sind wir körperlich, emotional und mental gesund. Wir haben viel Energie und fühlen uns insgesamt wohl. Der hohe Vagustonus ist unsere Pforte zum Glücklichsein!

 

Es gibt eine Möglichkeit, den Tonus des Vagusnervs zu messen – das ist dann direkt eine Aussage darüber, wie hoch unser Stresspegel ist. Es gibt etwas, das nennt sich Herzfrequenzvariabilität (HRV). Dieser Wert zeigt an, wie anpassungsfähig unser Herzschlag ist. Es ist ganz normal, dass sich die Intervalle zwischen den Herzschlägen unterscheiden, je nachdem, was wir gerade tun, aktiv oder passiv sind. Wenn das Herz diese Anpassungsfähigkeit aber verliert und „zu gleichmäßig“ schlägt, dann sind wir gestresst. Ein hoher HRV-Wert bedeutet, dass auch der Tonus des Vagusnervs hoch ist – also: Daumen hoch! Ein niedriger HRV-Wert, also eine geringe Variabilität und damit geringe Anpassungsfähigkeit des Herzschlags, lässt darauf schließen, dass der Vagustonus niedrig ist und damit der Flucht-Kampf-Starre-Modus aktiv ist. Also: ein hohes Stresslevel.

 

Wenn wir also den HRV-Wert positiv beeinflussen, tun wir damit automatisch etwas für unseren Vagusnerv! Diese Dinge klingen oft erst einmal so kompliziert und fern von jeglicher Möglichkeit, sie zu beeinflussen, doch ganz im Gegenteil.

 

Hier kommen die Tipps!

 

 

WAS DEN VAGUSNERV STÄRKT

  • YOGA! …und immer schön tief atmen und viele Rückbeugen einbauen.
  • Seitdehnungen und Drehungen des Nackens
  • Augenbewegungen
  • mit sanftem Druck mit der flachen Hand ausstreichen: von der Schläfe über die Wange, den seitlichen Hals über das Schlüsselbein runter zu Brustbein (mehrfach auf beiden Seiten wiederholen)
  • Bewegungen des Trapezmuskels (Schulter, Nacken, Brustwirbelsäule)
  • Ujjayi Pranayama (beruhigender Meditationsatem)
  • Wechselatmung (gleicht die Hirnhälften aus, bringt uns in Balance)
  • Herzkohärente Atmung (für einen hohen HRV-Wert: gleich langes Ein- und Ausatmen, mind. 5 Sekunden, maximal 7 Sekunden pro Atemzug für ca. 5 Minuten)
  • Meditation, Achtsamkeit, Mitgefühl (diese Kombination macht uns ganz schnell zum Alltags-Mönch)
  • das Mantra OM chanten (Singen grundsätzlich, doch besonders dieses Mantra schwingen den Vagusnerv an, das ist sogar wissenschaftlich erforscht.)
  • Yoga Nidra (Tiefenentspannung, der Schlaf der Yogis)
  • kalte Duschen (über den ganzen Körper oder nur Körperteile, kurz genügt)
  • GABA (Gamma-Aminobuttersäure: ein körpereigener Botenstoff, der uns vergessen lässt, wie Stress geht; wird bei Meditation gebildet, kann aber auch als Kapsel eingenommen werden)
  • eine gesunde Darmflora (wegen der Wechselwirkung zwischen Vagusnerv und Darm)
  • Adaptogene (Pflanzenstoffe, die helfen, aus dem Stresszustand zum Ruhezustand zurückzufinden; die findet man u.a. in Ginseng, Tulsikraut, Ashwangandha, Vitalpilzen)
  • Omega3 (aus dem Meer! Also als Algen-, Fisch-, oder Krillöl)
  • unbedingt sitzend essen! (Im Stehen kann das Nervensystem nicht auf den Parasympathikus umschalten und der wird für die Verdauung gebraucht. Also lieber 'to stay' statt 'to go')
  • „Do more things that make you happy!“ (Wenn wir tun, was wir lieben, macht der Vagusnerv mit.)

 

All das erhöht den vagalen Tonus und wirkt sich damit positiv auf unsere physische und seelische Verfassung aus. Wir können fremden Menschen auf der Straße in die Augen blicken und sie anlächeln, wir können geduldig und ruhig bleiben bei Konflikten, unsere Entzündungswerte werden dramatisch gesenkt – und das bedeutet umfassende Gesundheit, ein starkes Immunsystem. Wir sind dann ein fröhlicher, mutiger und energiegeladener Mensch.

 

 

QUELLEN

„Der Selbstheilungsnerv“ von Stanley Rosenberg

„Der Vagusnerv: In der Ruhe liegt die Kraft“ von Dr. phil. Doris Steiner-Ehrenberger, Artikel in „Lebe natürlich“, Ausgabe 03/2019